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RECHTS- UND WIRTSCHAFTSWISSENSCHAFTLICHE FAKULTÄT

Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Wirtschafts- und Technikrecht

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Forschung

​1. Methodik: Responsive RechtswissenschaftEinklappen

Ein Schwerpunkt und gleichzeitig verbindendes Element der Forschung des Lehrstuhls ist die Begründung und Begriffskonturierung einer „responsiven Rechtswissenschaft“. Darunter verstehen wir eine rechtstheoretisch fundierte (Privat-)Rechtswissenschaft, die die sozialen Funktionen (privat-)rechtlicher Begriffe und Institute untersucht und daraus Rückschlüsse für die gegenseitige Irritation von Umwelt und Recht zieht. Recht existiert nicht nur formal auf dem Papier; die vom Recht zu lösenden Konflikte sind primär Fälle der Gesellschaft mit jeweils spezifischen sozialen Kontexten. Dabei werden immer mehr Fälle in der modernen Gesellschaft zunehmend komplexer: Ein Problem lässt sich dabei aus jeweils unterschiedlichen Perspektiven betrachten. Dadurch ist der einem juristischen Fall zugrunde liegende soziale Konflikt nicht immer offensichtlich. Damit das Recht auch für solche Fälle problembezogene Lösungen entwickeln kann, ist es auf außerrechtliches Wissen über diese Konflikte angewiesen.

Dieses kann jedoch nicht einfach übernommen werden, weil das Recht eigene Begriffs- und Wissensbestände entwickelt hat und nach rechtsinternen Maßstäben operiert. Daher ist das Recht auf einen Übersetzungsmechanismus angewiesen, der die Umweltbeschreibung und -veränderung adäquat in das Recht integrieren kann. Hierin sehen wir die Aufgabe der Rechtswissenschaft als „responsive Rechtswissenschaft“. Sie ist primär eine wissenschaftliche Methode und auf das Engste mit Interdisziplinarität verbunden. Sekundär kann sie jedoch auch mit einer rechtsanwendungsbezogenen Methode strukturell gekoppelt werden. Das Produkt dieses Prozesses ist eine responsive Rechtsdogmatik, die das außerrechtliche Wissen in operable rechtsdogmatische Bausteine gießt.

2. NichtdiskriminierungsrechtEinklappen

Ein zentrales Referenzgebiet des Projekts „responsive Rechtswissenschaft“ ist das Nichtdiskriminierungsrecht. Die Auseinandersetzung mit dem Nichtdiskriminierungsrecht erfordert in besonderem Maße die eben propagierte Umweltsensibilität des Rechts, schon um die real existierenden Diskriminierungserfahrungen rechtlich anzuerkennen und angemessen moderieren zu können. Zudem erscheinen in diesem Rechtsgebiet die klassischen Annahmen, dass Recht(-sdogmatik) unpolitisch und unabhängig von Vorverständnissen ist, besonders zweifelhaft. Das Nichtdiskriminierungsrecht eignet sich vor diesem Hintergrund also auch als Folie (privat-)rechtstheoretischer Forschung.

Zugleich ist das Nichtdiskriminierungsrecht Schnittstelle für die weiteren Forschungsfelder des Lehrstuhls: Einerseits ist das einfachrechtliche Nichtdiskriminierungsrecht, etwa das AGG, an diversen Stellen verfassungs-, unions- und völkerrechtlich überformt, so dass die Antwort auf nichtdiskriminierungsrechtliche Fragen oft Fragen nach der Konzeption des (europäischen) Mehrebenensystems aufwirft (siehe dazu auch 3. Mehrebenensystem). Aber auch im Bereich der Regulierung sog. ADM-Systeme sind die verschiedenen Forschungsbereiche unmittelbar miteinander verzahnt: Hier besteht die Herausforderung darin, die technischen Grundlagen algorithmenbasierter Entscheidungssysteme zu erfassen, rechtlich zu reformulieren und schließlich mit Blick auf Diskriminierungspotentiale zu verarbeiten (siehe dazu auch 5. Herausforderungen von ADM-Systemen).

3. MehrebenensystemEinklappen

Das Europäische Recht bildet einen wesentlichen Pfeiler des nationalen Privatrechts – nicht nur im Wirtschafts- und Verbraucherrecht, sondern auch im traditionell der nationalen Sphäre vorbehaltenen Statuts- und Familienrecht: Unionsprimär- und -sekundärrecht überformen das „Bürgerliche Recht“. So entsteht ein Mehrebenenmodell, in dem supranationale und nationale – sowie weitere, darüber hinausreichende internationale – Regelungsebenen vielfältig aufeinander einwirken. Dadurch wird die Rechtswissenschaft gezwungen, traditionelle Vorstellungen über Normenhierarchien zu überdenken. Dies beeinflusst nachhaltig die rechtswissenschaftliche Forschung und muss sich auch in der juristischen Ausbildung niederschlagen. Etwa anhand des Nichtdiskriminierungsrechts ist bereits früh in der juristischen Ausbildung der unionsrechtliche Einfluss auf nationales Recht aufzuzeigen.

4. ImmaterialgüterrechtEinklappen

Als Infrastrukturrecht der modernen Wissensorganisation kommt dem Immaterialgüterrecht eine zentrale Weichenstellung zu. Forschungsgegenstand ist eine die einzelnen Schutzrechte des Geistigen Eigentums übergreifende Frage: Ob und inwieweit kann und soll die Existenz und die Ausübung subjektiver Rechte an Funktionsbedingungen in der Umwelt des Rechts geknüpft werden? Ob und inwieweit kann und soll eine Veränderung dieser Umweltbedingungen auch Auswirkungen auf die Ausgestaltung von subjektiven Rechten haben (Stichwort: Prozeduralisierung)? Eine wichtige Grundlagenarbeit für den (rechts-)politischen Diskurs und die praktische Umsetzung der Regulierungsansätze liegt darin, die Gemeinsamkeiten der bereits bestehenden Ansätze zu den verschiedenen Schutzrechten im Detail herauszuarbeiten (Bausteine des Informationsinfrastrukturrechts).

Die Forschung des Lehrstuhls konzentriert sich allerdings auf das Urheberrecht. Dessen Analyse zeigt, dass Problemlösungen häufig noch auf analogen Denkmodellen beruhen. Nicht alle beteiligten Akteur*innen berücksichtigen hinreichend die Rolle des Urheberrechts als Ordnungsrahmen für die Kommunikation in der Gesellschaft. Das Urheberrecht nimmt in einer pluralistischen Demokratie aber eine Schlüsselrolle ein! Diesen Aspekt greift das unter maßgeblicher Finanzierung des Lehrstuhls und der Forschungsstelle zustande gekommene „Memorandum zur Zukunft des kreativen Ökosystems in Europa“ auf. Die Konkretisierung der dort genannten Forderungen (Entwicklung angemessener rechtlicher Rahmenbedingungen für markt- und technikbasierte Lösungen) ist – verkürzt gesagt – das Arbeitsprogramm im Urheberrecht für die nächsten Jahre.

​5. Herausforderungen von ADM-SystemenEinklappen

Das ursprünglich der Informatik entstammende Forschungsgebiet der „Künstlichen Intelligenz“ wirkt sich zunehmend auf Gesellschaft und Recht aus. Der juristische Diskurs betrifft bislang jedoch überwiegend nur Fragen des Haftungs- und Vertragsrechts. Dass mit dem technischen Fortschritt aber auch Risiken im Bereich der Nichtdiskriminierung einhergehen, wird weniger in der Rechtswissenschaft als in der Ethik und Soziologie diskutiert. Das Recht und die rechtssetzenden Akteur*innen sind dem Spannungsverhältnis von Innovationsförderung und Innovationsverantwortung jedoch in einem besonders grundrechtssensiblen Bereich (Schutz vor Diskriminierung, Art. 21 GRCh, Art. 3 I, III GG) ausgesetzt. Hier besteht für die Rechtswissenschaft großer Forschungsbedarf. Dieses Referenzgebiet ist besonders interessant, weil am Lehrstuhl zwei Forschungsfelder zusammengeführten werden können: Das Nichtdiskriminierungsrecht und Rechtsfragen der Digitalisierung. ​​

​​6. Bausteine eines Vertragsrechts für das 21. JahrhundertEinklappen

Die EU überarbeitet aktuell das Vertragsrecht in Bezug auf den digitalen Bereich. Diese legislativen Akte haben erhebliche Auswirkungen auf unser aktuelles Verständnis des Privatrechts. Bislang wirkt das Vertragsrecht nur in bipolar konzipierten Rechtsverhältnissen zwischen den Parteien. Sich daraus ergebende Probleme sollen von anderen Rechtsgebieten – etwa dem Kartellrecht – gelöst werden. Dieses Paradigma ist nicht mehr zeitgemäß, da das bisherige Vertragsrecht die schwächere Partei meist stärker belastet und/oder (soziale) Kosten auf Dritte externalisiert. Die bestehenden regulativen Instrumente, insbesondere das Wettbewerbsrecht, greifen entweder zu spät oder zu schlecht. Das Vertragsrecht als regulatorisches Instrument muss sich den neuen Herausforderungen der digitalen Gesellschaft stellen.

Internet-of-Things
Bei Internet-of-Things-Produkten handelt es sich um hybride Produkte, also Produkte bestehend aus einer körperlichen Sache verbunden mit digitalen Inhalten, z.B. einem internetfähigen Kühlschrank mit Appsteuerung. Beim Vertrieb dieser Produkte sind also neben dem Verkäufer noch andere Akteure beteiligt, die bspw. die digitalen Dienstleistungen bereitstellen. Die vernetzten technischen Funktionen und ökonomischen Beziehungen beim Vertrieb von Internet-of-Things-Produkten sind ein Paradebeispiel dafür, dass Verträge in der Realität eben nicht losgelöst vom Rest der Welt existieren. Das Recht muss, um funktionsfähig zu sein, diese Realität widerspiegeln und deshalb auch durch die Bildung neuer Strukturen und Begriffe anpassbarer und flexibler werden.

Daten
Daten und der Umgang mit ihnen ist derzeit ein rechtlich brisantes Thema. Einerseits sollen Verbraucher*innen in der Lage sein, ihre Daten vertraglich zu veräußern, andererseits gewährt die DSGVO ihnen das Recht, ihre Daten jederzeit zu löschen/löschen zu lassen. Wie diese Kluft rechtlich überbrückt werden soll, wird derzeit stark diskutiert.

Datenprivatrecht
Ein freier Zugang zu Daten ist für Innovation sowohl im Bereich von Produkten als auch Märkten wichtig. Auch hier muss deshalb ein Ausgleich zwischen freiem Datenzugang und Datenexklusivität bzw. Geschäftsgeheimnissen geschaffen werden. Das Vertragsrecht muss in die Lage versetzt werden, seiner gesamtgesellschaftlichen Verantwortung besser gerecht werden zu können.

7. Abgeschlossene ProjekteEinklappen

I. Immaterialgüterrecht

Bathelt, Alexander
Die Unionsgewährleistungsmarke. Charakter und Rolle im System des unverfälschten Wettbewerbs
Tübingen: Mohr Siebeck, 2021, 344  S.

Carl, Jacob
Einheitlicher Rechtsschutz Europäischer Patente

Eginger, Michael
Die grenzüberschreitende Portabilität von On-Demand-Streaming-Diensten. 
Berlin: Peter Lang GmbH, 2020, 388 S.
ISBN 978-3-631-82948-6 

Gaillard, Raphael
Die Schutzdauerverlängerungen in der Urheberrechtsnovelle 2013
Köln: Heymanns, 2016, 179 S. 
ISBN 978-3-452-28760-1

Geier, Artur
Schutzkumulationen: Angriff auf die Gemeinfreiheit oder legitimer Schutz Geistigen Eigentums? 
Tübingen: Mohr Siebeck, 2015, 240 S. 
ISBN 978-3-16-153982-4

Geier-Thieme, Susanne
Internationale Schutzrechtsverletzungen: der Deliktsgerichtsstand bei der Verletzung von Immaterialgüterrechten der Union. 
Marburg: Tectum Verlag, 2016, 255 S. 
ISBN 978-3-8288-3737-9

Grandjean, Armelle
Die angemessene Vergütung ausübender Künstler im digitalen Zeitalter : Lösungen de lege lata und de lege ferenda unter besonderer Berücksichtigung des Musik- und Filmbereichs. 
Bayreuth, 2021. - XXXII, 220 S.

Hacker, Julian
Die fehlende Legitimation der Patentierungsausschlüsse
Tübingen: Mohr Siebeck, 2015, 181 S.,
​ISBN 978-3-16-153897-1

Köhler, Sebastian
Die Haftung privater Internetanschlussinhaber: Familie und Privatheit innerhalb der Durchsetzung von Urheber- und Leistungsschutzrechten. 
Tübingen: Mohr Siebeck, 2018, 309 S. 
ISBN 978-3-16-155973-0

Lotte, Ricarda
Urheberrechtliche Herausforderungen digitalen Lehrens und Lernens. Konzeption eines kommunikationsformoffenen Urheberrechts
Tübingen: Mohr Siebeck, 2021, 228 S.
ISBN 978-3-16-160192-7

Marz, Matthias
Corporate Governance im Recht der Verwertungsgesellschaften. 
Baden-Baden: Nomos, 2020, 339 S.
ISBN 978-3-8487-6403-7

II. Bausteine eines Vertragsrechts für das 21. Jahrhundert

Bertl, Marco
Das Recht der Wertsicherungsklauseln in Deutschland: Geschichte und aktuelle Probleme
Hamburg: Kovač, 2016, 398 S. 
ISBN 3-8300-8956-2

Firsching, Lukas
Vertragsstrukturen des Erwerbs einheitlicher IoT-Produkte. 
Berlin: Duncker & Humblot, 2020, 346 S.
ISBN 978-3-428-18074-5 

Linke, Christian
Digitale Wissensorganisation
Baden-Baden: Nomos, 2021, 356 S.
ISBN 978-3-8487-7148-6

Skupin, Florian
Rechtsdurchsetzende nichtanwaltliche Dienstleister 

Sommer, Martin
Haftung für autonome Systeme: Verteilung der Risiken selbstlernender und vernetzter Algorithmen im Vertrags- und Deliktsrecht
Baden-Baden: Nomos, 2020, 568 S.
ISBN 978-3-8487-7789-1

Wunner, Katharina
Ein regulatives Vertragsrecht für die Datenwirtschaft
Vertragsrechtliche Optionen zur Vermeidung von Effizienzverlusten bei der (Weiter-)Verwertung maschinengenerierter Daten in der Industrie 4.0
Baden-Baden: Nomos 2022, 475 S.
ISBN 978-3-7489-3413-4

III. Herausforderungen von ADM-Systemen

Wimmer, Max
Algorithmusbasierte Entscheidungsfindung als Methode diskriminierungsfreien Recruitings

IV. Nichtdiskriminierungsrecht

Washington, Jermaine
Politische Anschauungen als Herausforderung des Antidiskriminierungsrechts

8. Laufende ProjekteEinklappen

Kim Bartle
Anerkennung nicht-traditioneller Status innerhalb der EU (Arbeitstitel des Forschungsvorhabens)

Veronika Beck
Die Verkehrsfähigkeit von Gütern im IoT

Phil Buro
Technik und Recht im privaten Baurecht

Jan Gadinger
Erfüllung in Geld statt Ersatz von Schäden

Johannes Herb
Juristische Theoriebildung. Eine wissenschaftstheoretische Analyse am Referenzgebiet des Antidiskriminierungsrechts

Franziska Herrmann
E-Lending im Urheberrecht

Stefanie Krome
Vereinbarkeit der wachsenden Globalität von SEP/FRAND-Streitigkeiten mit der Territorialität des Patentrechts aus der Perspektive des internationalen Privat- und Verfahrensrechts

Sabrina Mieller
Die Verkehrsfähigkeit digitaler Güter – Eine Untersuchung anhand urheberrechtlicher und vertragsrechtlicher Fragestellungen

André Reinelt
Soziale Inklusion – Der allgemeine Gleichheitssatz als Zugangsregel im Vertragsrecht

Alicia Braun
Die menschenrechtliche Verantwortung von Unternehmen in (digitalen) Netzen und (analogen) Lieferketten


Verantwortlich für die Redaktion: Univ.Prof.Dr. Michael Grünberger

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